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Die Arbeitgeberin betreibt ein Handelsunternehmen für die Möbelindustrie mit weniger als 10 Arbeitnehmern.

Ihr Geschäftsbetrieb ist allein auf den Vertrieb bzw. die Vermittlung von Dekorpapier für die Möbelindustrie in Russland ausgerichtet. Der Umsatz wurde allein in Russland generiert. Aufgrund unionsrechtlicher Sanktionsmaßnahmen als Reaktion auf Russlands Invasion in der Ukraine ist der Arbeitgeberin der Handel mit Dekorpapier für Möbel mit Russland ab April 2022 untersagt.

Mit Schreiben vom 05.05.2022 erklärte die Arbeitgeberin gegenüber dem Kläger die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2022.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben dem Arbeitnehmer recht. Sie gaben der Kündigungsschutzklage statt.

Die streitgegenständliche Kündigung scheiterte aus folgenden Gründen bereits auf erster Prüfungsstufe:

Betriebseinstellung und -einschränkung sind unabhängig davon, ob sie auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhen oder zwangsläufig eintreten, regelmäßig kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung.

Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung in Form einer werthaltigen Gegenleistung gegenüberstünde. Allerdings ist der Arbeitgeber in diesem Fall in besonderem Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn sämtliche denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen.

Den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes entsprechen die prozessualen Anforderungen an den Umfang der Darlegungen des Arbeitgebers. Dieser hat von sich aus darzutun, dass bei der genannten Konstellation keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen, betriebsbedingten Kündigung zum „wichtigen Grund“. Es handelt sich hierbei um eine Tatbestandsvoraussetzung.

Vorliegend fehlte es bereits an der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Kläger ordentlich unkündbar sein müsste, so dass es nicht darauf ankommt, ob Beschäftigungsmöglichkeiten noch vorhanden sind. Das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis ist ordentlich kündbar.

Anders formuliert: Im Regelfall ist es dem Arbeitgeber zuzumuten, bei Wegfall des Arbeitsplatzes – aus welchen Gründen auch immer – das (sinnentleerte) Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte übersieht, dass mit dieser Annahme die Folgefrage der Vergütung noch nicht beantwortet worden ist. Möglicherweise ist die Frage des Annahmeverzuges im Falle des Ausspruchs eines Berufsverbotes aufgrund politischer Erwägungen anders zu beantworten, weil sich in diesem Falle eben nicht das Betriebsrisiko realisiert hat

Diese Frage ist vorliegend jedoch nicht streitgegenständlich.

Bei der vorliegenden Konstellation – einem staatlich angeordneten Berufsverbot – sind auch die Interessen des Klägers zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt es – wie das Arbeitsgericht richtigerweise erkannt hat – durchaus und selbstverständlich im Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuhalten. Es ist nicht erkennbar, weshalb ein staatlich angeordnetes Berufsverbot allein der Arbeitnehmer tragen muss.

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