Mitbestimmung digitaler denken – Chancen für Online-Formate
Das ausgesprochene Ziel der 9. Bundesregierung in Randziffer 579 ff. des Koalitionsvertrages ist, die Mitbestimmung weiterzuentwickeln.
Die Möglichkeit, Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen als gleichwertige Alternative auch online durchzuführen, soll gesetzlich abgesichert werden. Damit greift der Koalitionsvertrag eine Entwicklung auf, die in vielen Betrieben in der Pandemie bereits erprobt wurde. Auch die Option zur Durchführung von Online-Wahlen soll ins Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen werden. Diese Maßnahmen können den Zugang zur Mitbestimmung und Repräsentation im Betrieb erleichtern – insbesondere in dezentralen Betrieben oder bei mobilen Arbeitsformen. Dass sie allerdings bis vor den turnusmäßigen Wahlen 2026 gesetzlich umgesetzt sein werden, ist eher unwahrscheinlich.
Elektronische Arbeitszeiterfassung – Gesetzliche Klarheit mit Spielraum
Nachdem der Europäische Gerichtshof bereits 2019 die Pflicht zur Einführung eines "objektiven, verlässlichen und zugänglichen" Systems zur Erfassung der täglich geleisteten Arbeitszeit festgestellt hat, will die Bundesregierung nun eine gesetzliche Grundlage schaffen. Vorgesehen ist eine elektronische Erfassungspflicht, die für kleinere Unternehmen durch Übergangsregelungen erleichtert werden soll.
Die Vertrauensarbeitszeit soll laut Koalitionsvertrag möglich bleiben, die genaue Ausgestaltung „im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie“ erfolgen. Es bleibt deswegen abzuwarten, ob sie für Unternehmen ein Schlupfloch aus der generellen Erfassungspflicht bieten wird.
Wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit – Flexibilisierung mit Gesprächsbedarf
Der neue Koalitionsvertrag sieht vor, die tägliche Höchstarbeitszeit im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG zugunsten einer wöchentlichen Betrachtung zu flexibilisieren. Das bedeutet, dass die bisherige Begrenzung von acht bzw. zehn Stunden pro Tag (§ 3 ArbZG) durch eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden ersetzt werden könnte.
Zwischen den Sozialpartnern ist dieser Vorstoß stark umstritten, es konkurriert der Wunsch einer besseren Anpassung auf betriebliche Erfordernisse mit der Sorge vor einer Steigerung des Risikos für Unfälle und gesundheitlicher Probleme durch längere tägliche Arbeitszeiten.
Wie genau diese Neuerung im Arbeitszeitgesetz verankert werden soll, bleibt bisher offen – auch, weil die Regierung eine enge Abstimmung mit den Sozialpartnern angekündigt hat. Für Betriebsräte könnte dies die Chance bieten, sich frühzeitig mit betrieblichen Schutzmechanismen und den Erfordernissen in ihren Betrieben auseinanderzusetzen.
Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen – Stärkung der Tarifbindung
Ein Bundestariftreuegesetz soll nun, nachdem es in der letzten Legislaturperiode an einem Veto der FDP scheiterte, von der neuen Regierung auf den Weg gebracht werden und dabei sicherstellen, dass öffentliche Aufträge künftig nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden – ab einem Schwellenwert von 50.000 Euro (bzw. 100.000 Euro bei jungen Start-ups).
Damit wird ein Impuls gesetzt, um die Tarifbindung zu stärken und ein wirksames Mittel gegen Lohndumping zu ermöglichen. Wie effektiv diese Maßnahme aber tatsächlich sein wird, hängt von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung und der Durchsetzungspraxis ab.
Steuerliche Entlastung bei Überstunden – Neue Anreize mit offenen Fragen
Geplant ist von der neuen Bundesregierung, Zuschläge für Überstunden steuerfrei zu stellen, sofern sie über die tariflich oder betrieblich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen. Dies soll Anreize für zusätzliche Arbeitsleistung schaffen – etwa zur Abfederung von Fachkräfteengpässen.
Aus Sicht der betrieblichen Interessenvertretung stellt sich dabei die Frage, wie diese Regelung sich auf die Arbeitsbelastung und das Gleichgewicht zwischen Arbeitszeit und Gesundheit auswirkt. Auch kann kritisiert werden, dass durch diese einseitige Begünstigung der Vollzeitbeschäftigten, Teilzeitkräfte, welche zumeist Frauen sind, ausgeschlossen und strukturell benachteiligt werden. Die detaillierte Ausgestaltung dieses Vorschlags und die Wirksamkeit bleiben also spannend.
Mindestlohn – Orientierung an objektiven Maßstäben
Der gesetzliche Mindestlohn soll künftig stärker an der Entwicklung der Tariflöhne und dem Medianlohn orientiert werden. Die Koalitionäre bekennen sich zum gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro bis 2026. Dies entspricht dem Modell einer „armutsfesten Lohnuntergrenze“ und könnte besonders in tarifschwachen Branchen zu Verbesserungen führen. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz betonte aber zuletzt, dass ein gesetzlicher Automatismus nicht verabredet worden sei. Die Umsetzung bleibt der Mindestlohnkommission überlassen, die Zielerreichung ist nicht garantiert.
Digitalisierung und Bürokratieabbau – Allgemeine Absichten, wenige Details
Die Koalition kündigt an, gesetzliche Schriftformerfordernisse zu reduzieren und Verfahren zu digitalisieren – etwa bei Befristungen nach § 14 Abs. 4 des Teilzeitbefristungsgesetzes.
Auch die telefonische Krankschreibung soll erhalten bleiben, allerdings unter klaren Missbrauchsschutzmechanismen, wonach private Online-Plattformen ausgeschlossen werden sollen.
Fazit
Der Koalitionsvertrag 2025 enthält durchaus Impulse, die für Betriebsräte relevant sind – insbesondere bei der digitalen Mitbestimmung, der Arbeitszeiterfassung und der Stärkung tariflicher Strukturen. Viele Vorhaben sind als Rahmen gesetzt, konkrete gesetzliche Vorschläge stehen jedoch noch aus. Für Betriebsräte bedeutet das: aufmerksam bleiben, aktiv mitgestalten und bei Bedarf eigene Akzente setzen.
Kirsten Aurand
Rechtsanwältin