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Der Fall

Ein Chefarzt verklagte seine Arbeitgeberin, ein Klinikum, auf Schadensersatz in Höhe von 63.000 Euro, weil das Klinikum mit ihm nicht rechtzeitig eine Zielvereinbarung abgeschlossen hatte.

Ausweislich seines Arbeitsvertrages steht ihm eine erfolgsabhängige Tantieme zu. Der Zielwert der Tantieme beträgt 70.000 Euro, die Grundvergütung 225.000 Euro. Dazu heißt es im Arbeitsvertrag:

Die Kriterien für die Tantieme werden von den Parteien spätestens bis zum 01.03. eines Kalenderjahres für das Kalenderjahr neu vereinbart. Wird eine Vereinbarung nach Satz 1 nicht oder nicht fristgerecht erzielt, werden die Kriterien durch den Arbeitgeber im Rahmen billigen Ermessens bestimmt.“

Am 19.03.2021 übersandte das Klinikum einen Regelungsvorschlag zur Berechnung der Tantieme für 2021, welchen der Kläger ablehnte. In der Folge kam keine Vereinbarung zwischen den Parteien zustande. Das Klinikum zahlte 7.000 Euro an Tantiemen für 2021 aus, die Differenz zum Zielwert klagte der Chefarzt als Schadensersatz ein.

 

Die Entscheidung

Sowohl das ArbG Lübeck in erster Instanz als auch das LAG Schleswig-Holstein als Berufungsgericht gaben der Klage des Chefarztes statt.

Das Klinikum hat seine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt, eine Tantiemenvereinbarung fristgerecht abzuschließen. Dies geschah schuldhaft.

Innerhalb der Frist bis zum 01.03. hatte das Klinikum unstreitig noch keinen Berechnungsvorschlag vorgelegt. Die Verspätung hatte das Klinikum zu verantworten. Auf sein einseitiges Festsetzungsrecht konnte sich das Klinikum nicht berufen, weil dies erstens rückwirkend nicht möglich ist und zweitens dies vorherige Verhandlungen sowie damit wiederum ihr fristgemäßes Angebot und Verhandlungen hierzu vorausgesetzt hätte. Verhandlungen setzen Gespräche, den Austausch von unterschiedlichen Standpunkten, Annäherungen oder jedenfalls die gemeinsame Feststellung, dass die Verhandlungen gescheitert sind, voraus. Diese Verhandlungsparameter hatte das Klinikum nicht ansatzweise eingehalten.

Auch das verspätete Angebot des Klinikums vom 19.03.2021 konnte den Schadensersatzanspruch des Chefarztes nicht mehr verhindern, weil die maßgebliche Zielvereinbarungsperiode abgelaufen war. Die Anreizfunktion der Zielvereinbarung konnte nach Ablauf der Zielvereinbarungsperiode nicht mehr erreicht werden, sie wurde unmöglich i.S.v. § 283 BGB.

 

Unsere Bewertung

Das Urteil liegt auf der Linie höchstrichterlicher und ständiger Rechtsprechung. Zugleich klart es dennoch einige Aspekte erfreulich auf:

1.       Schadensersatzanspruch wegen Nichtabschluss einer Zielvereinbarung

Ein Schadensersatzanspruch kann gemäß §§ 280 Abs. 1, 280 Abs. 3 i.V.m. § 283 BGB entstehen, wenn der Arbeitgeber die mit dem Arbeitnehmer zu treffende Zielvereinbarung nicht abschließt. Das BAG hat in seinen Urteilen (z.B. Urteil vom 10.12.2008 – 10 AZR 889/07 und Urteil vom 17.12.2020 – 8 AZR 149/20) festgestellt, dass der Arbeitgeber zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet sein kann, wenn durch sein Verschulden keine Zielvereinbarung zustande kommt und dadurch dem Arbeitnehmer eine potenzielle Vergütung entgeht.

2.       Ziele für Tantiemen können nicht rückwirkend festgesetzt werden

Eine Zielvereinbarung kann ihre Motivationsfunktion nur erfüllen, wenn sie rechtzeitig erfolgt. Eine nachträgliche Festlegung von Zielen für einen bereits abgelaufenen Zeitraum ist rechtlich unwirksam, da sie dem Sinn und Zweck einer solchen Vereinbarung widerspricht.

3.       Pflichtverletzung und Verschulden des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber muss die Initiative zur Festlegung der Ziele ergreifen, insbesondere wenn vertragliche Fristen vereinbart sind. Tut er dies nicht, wird sein Verschulden für diese Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.

4.       Kein Mitverschulden des Arbeitnehmers

Ein Arbeitnehmer muss seinerseits an einer Zielvereinbarung mitwirken. Solange er Gegenvorschläge äußert, fällt ihm kein Mitverschulden zur Last, selbst dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Forderungen als völlig überhöht zurückweist. In der Regel muss ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber wenigstens zur Vorlage eines Angebotes auffordern. Dies ist entbehrlich, wenn sich die Parteien bereits in einem Vorprozess über die Inhalte der Zielvereinbarung aus dem vorhergehenden Jahr gestritten haben. Arbeitnehmer sollten hier stets auf fristgerechte Angebote hinwirken, damit ihr Schweigen nicht als Vereinbarung gewertet wird, einvernehmlich den vereinbarten Stichtag aufzuheben.

5.       Berechnung des Schadensersatzes

Das Gericht geht davon aus, dass der Arbeitnehmer die vereinbarten Ziele zu 100 % erreicht hätte. Zu einer solchen Schätzung ist das Gericht aus § 287 ZPO befugt. In der Differenz zwischen Zielwert und Sollwert liegt damit die Höhe des Schadensersatzanspruchs, für die der Arbeitnehmer keine zusätzlichen Nachweise erbringen muss.

Für eine Abweichung von dieser Schätzung nach oben muss der Arbeitnehmer eine hypothetische höhere Zielerreichung, für eine Abweichung nach unten der Arbeitgeber eine hypothetische niedrigere Zielerreichung nachweisen. Für beide Parteien ein kaum zu führender Beweis.

Diese hier dargestellten Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die Tantiemen in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag vereinbart wurden.

Dr. Daniel Wall
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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