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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit von zwei ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen und vorläufige Weiterbeschäftigung.

Der Kläger ist ordentliches Betriebsratsmitglied und seit 30 Jahren bei der Beklagten beschäftigt.

Am 31.08.2020 fand eine Sitzung des Betriebsrates statt, an welcher der Kläger teilnahm. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob der Kläger in dieser Betriebsratssitzung unerlaubt Videoaufzeichnungen vom Betriebsratsvorsitzenden angefertigt hat. Nachdem der Arbeitgeber den Kläger zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung angehört hatte, fertigte der Kläger vor dem Betriebsgelände ein Video, in welchem er und sein Anwalt zu den erhobenen Vorwürfen Stellung nahmen.

Dabei stand der Kläger gut sichtbar vor dem Betriebslogo des Arbeitgebers.

Dieses Video postete der Kläger in seinen privaten Profilen in sozialen Netzwerken und garnierte es zusätzlich mit dem Titel:

„Politische Kündigung?“

und dem Teaser: „Komplott unter der Gürtellinie. Will [Name des Arbeitgebers] mit Lügen Betriebsrat kündigen?“

Der Arbeitgeber sprach zwei Kündigungen aus, gegen die sich der Kläger nun wehrte.

 

Entscheidung

Das LAG Sachsen gab den Kündigungsschutzanträgen statt.

Wegen der Vorkommnisse im Betriebsratsbüro hatte der Kläger bereits erstinstanzlich gesiegt.

Nun verwarf das Berufungsgericht auch die Kündigung wegen des Videos vor dem Firmenlogo mit polemisierenden, stark zugespitzten Aussagen.

Der Kläger hatte gerade keine unwahren Tatsachenbehauptungen aufgestellt, sondern „nur“ sehr scharf zugespitzte Fragen gestellt, unter anderem, ob er hier als Betriebsratsmitglied und Gewerkschaftsmitglied gekündigt werde.

Weil der Kläger seine Politisierung stets mit einem Fragezeichen versehen hatte, fehle es an einer Tatsachenbehauptung. Die Aussagen sind damit von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG geschützt.

Der Kläger hat zudem das Video erkennbar als Betriebsratsmitglied gepostet, die der Verdachtsanhörung zugrunde liegenden Umstände wiesen eine hohe Nähe zu seiner Betriebsratstätigkeit und seiner Gewerkschaftstätigkeit auf.

Der visuelle Zusammenhang zwischen dem Firmenlogo und den Begriffen „Politische Kündigung“ und „Lügen“ des Arbeitgebers, rückte zwar den Arbeitgeber, einen internationalen Konzern, in ein schlechtes Licht, doch berücksichtigte das Gericht auch den geringen Verbreitungsgrad. Das Video wurde 38-mal geteilt und 10-mal kommentiert. Ein Reputationsschaden wäre mithin in jedem Fall marginal.

 

Bewertung

Diese Entscheidung verdeutlicht, wie schwer es ist, in vielschichtigen, hochemotionalen Konfliktlagen mit juristischen Mitteln eine dogmatische sauber begründete Entscheidung zu treffen, ohne sich von einer Seite vereinnahmen zu lassen.

Begrüßenswert für Betriebsräte und Gewerkschaften ist an dieser Entscheidung, dass das Gericht nicht jede öffentliche Aussage eines Arbeitnehmers, die den Arbeitgeber in ein schlechtes Licht zu rücken geeignet ist, als schweren Pflichtenverstoß wertet.

Ob sich jede diffamierende und herabsetzende Behauptung hingegen bereits mit dem Anfügen eines Fragezeichens („Politische Kündigung?“) zu einer reinen Meinungsäußerung umformen lässt, mag man unterschiedlich werten. Hier wird dem – fast nachgeklappten – Fragezeichen einer sehr hohe verfassungsrechtliche Bedeutung beigemessen.

Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter dürfen auch zukünftig soziale Medien aktiv nutzen, um auf Missstände hinzuweisen. Dabei dürfen sie in einem sehr weiten Maße Fragen stellen und Sensibilität erzeugen für als hoch problematisch empfundene innerbetriebliche Abläufe, Umgangsformen und Zustände.

Dr. Daniel Wall
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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