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Betriebsratswahl trotz Freistellung zulässig

Auch in der Urlaubs- oder Freistellungsphase kann eine Betriebsratswahl vorbereitet werden – mit rechtlichen Risiken, aber ohne dramatische Folgen.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat nun klargestellt: Wenn der Wahlvorstand früh bestellt wird, kann dies zwar Anfechtungsgründe begründen. Zur Nichtigkeit der Wahl führt es jedoch regelmäßig nicht. Ein Abbruch der Wahl per einstweiliger Verfügung kommt daher weder für Arbeitgeber noch für Gewerkschaften in Betracht.

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.03.2024 – 11 TaBVGa 135/24

veröffentlicht am 29.10.2025 von

Der Sachverhalt

Im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens stritten die im Tesla-Werk in Grünheide vertretene IG Metall, der Wahlvorstand sowie die Tesla Germany GmbH über den Abbruch einer bereits eingeleiteten Betriebsratswahl, hilfsweise über deren Korrektur.

Tesla betreibt einen Großbetrieb mit rund 12.400 Beschäftigten zur Herstellung von Elektrofahrzeugen. Die letzte Betriebsratswahl fand am 28. Februar 2022 statt; seinerzeit waren 2.323 Arbeitnehmer beschäftigt und es wurde ein Betriebsrat mit 19 Mitgliedern gewählt. Am 9. Januar 2024 bestellte der amtierende Betriebsrat den Wahlvorstand und informierte die Belegschaft am 10. Januar 2024 darüber. Ebenfalls am 10. Januar 2024 kündigte die Arbeitgeberin aufgrund der Auseinandersetzungen im Roten Meer einen Produktionsstopp vom 29. Januar bis einschließlich 11. Februar 2024 an. In diesem Zeitraum waren nur etwa 4.193 Beschäftigte im Betrieb anwesend.

Die IG Metall wandte sich mit Antragsschrift vom 5. Februar 2024 gegen die Wahl und beantragte deren Abbruch, insbesondere wegen der frühen Bestellung des Wahlvorstands. Das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) untersagte dem Wahlvorstand mit Beschluss vom 13. Februar 2024 die weitere Durchführung der mit Wahlausschreiben vom 1. Februar 2024 eingeleiteten Wahl und verpflichtete ihn, eine neue Wahl nicht vor dem 29. Februar 2024 einzuleiten. Gegen diesen Beschluss legten der Wahlvorstand sowie Tesla beim LAG Berlin-Brandenburg Beschwerde ein.

 

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hob das LAG den arbeitsgerichtlichen Beschluss auf.

Das LAG führt aus, dass ein Abbruch der Wahl im Eilverfahren nur zulässig ist, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig ist. Nichtigkeit setzt einen besonders groben, evidenten Verstoß gegen grundlegende Wahlprinzipien voraus, d.h. schon der Anschein einer gesetzmäßigen Wahl muss fehlen. Bei Fehlern, welche nicht diese Voraussetzungen erfüllen, bestimmt § 19 BetrVG, dass die Wahl lediglich anfechtbar ist. Ein solcher schwerwiegender Verstoß lag bei der Bestellung des Wahlvorstands bei Tesla nach § 13 BetrVG nicht vor.

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BetrVG finden regelmäßige Betriebsratswahlen alle vier Jahre zwischen dem 1. März und dem 31. Mai statt. Außerhalb dieses Zeitraums ist nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu wählen, wenn – gerechnet vom Tag der letzten Wahl – binnen 24 Monaten die Zahl der regelmäßig Beschäftigten um die Hälfte (mindestens um 50) gestiegen oder gesunken ist. Diese 24 Monate bilden eine Stichtagsregelung. Im vorliegenden Fall hatte die letzte Betriebsratswahl am 28. Februar 2022 stattgefunden und die Zahl der Arbeitnehmer hatte sich seitdem um ein Vielfaches erhöht, sodass der Stichtag am 29. Februar 2024 erreicht wurde.

§ 13 BetrVG regelt nicht, wann in solchen Fällen ein Wahlvorstand zu bestellen ist. Zwar findet § 16 BetrVG grundsätzlich entsprechende Anwendung, seine Fristen knüpfen jedoch an das Ende der regulären Amtszeit an und sind auf die turnusmäßigen Wahlen zugeschnitten. Für Wahlen nach § 13 Abs. 2 Nr. 1–3 BetrVG hat der Gesetzgeber eine unverzügliche Durchführung vorgesehen; daher greifen die Fristen des § 16 BetrVG dort nicht. Das Gericht führt aus, dass der Betriebsrat den Wahlvorstand somit unverzüglich bestellen muss, sobald das auslösende Ereignis eingetreten ist – hier also erst mit Erreichen des Stichtags am 29. Februar 2024. Eine davor liegende Bestellung sei zu früh gewesen.

Für einen schwerwiegenden Fehler ist erforderlich, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Errichtung in so hohem Maße verstoßen wird, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Bestellung des Wahlvorstands nicht mehr besteht. Es muss sich daher um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen die Bestellungsvorschriften der §§ 16, 17a BetrVG handeln. Im vorliegenden Fall wurde ein solcher Verstoß jedoch verneint, da der Wahlvorstand – wie vom Gesetz vorgesehen – vom amtierenden Betriebsrat bestellt worden sei.

 

Fazit

Ein Wahlabbruch lässt sich nur durchsetzen, wenn die Schwelle der voraussichtlichen Nichtigkeit erreicht ist. Timing-Fehler – wie eine vorzeitige Wahlvorstandsbestellung– sind zwar rechtlich relevant, führen aber regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit, nicht zur Nichtigkeit. Damit wird die Auseinandersetzung in das nachgelagerte Wahlanfechtungsverfahren verlagert und die Durchführung der Wahl zunächst abgesichert.

Für die Wahlpraxis ist es wichtig, dass sich der Betriebsrat bereits vor Ablauf der Fristen des § 16 BetrVG oder vor dem Stichtag des § 13 Abs. 2 BetrVG Gedanken darüber macht, aus welchen Gründen er den Wahlvorstand zu einem frühen Zeitpunkt bestellen will. Andernfalls kann der Arbeitgeber versuchen, dem Betriebsrat vorzuwerfen, die Bestellung des Wahlvorstands sei rechtsmissbräuchlich erfolgt, um den Wahlvorstandsmitgliedern den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG zu verschaffen. Dies gilt insbesondere in Zeiten, in denen Betriebsänderungen mit Entlassungen anstehen.