1. Wenn Homeoffice auf Betriebsratswahl trifft: Was gilt bei Briefwahlunterlagen?
BAG Beschluss vom 23.10.2024 – 7 ABR 34/23
Bei einem großen Automobilhersteller galt infolge der Covid-19-Pandemie die betriebliche Regelung, dass die Option zur mobilen Arbeit „so weit wie möglich“ genutzt werden soll. Ausgenommen von dieser Regelung waren Mitarbeitende in der Logistik und Produktion, deren ausschließliche Anwesenheit im Betrieb erforderlich war. Der Wahlvorstand beschloss daraufhin, allen Beschäftigten, die grundsätzlich mobil arbeiten konnten und dies seit der Anweisung auch getan hatten, Briefwahlunterlagen zuzusenden. Ebenso erhielten auch alle von Kurzarbeit (Null) betroffenen Mitarbeiter Unterlagen, ohne dass hierfür ein ausdrückliches Verlangen erforderlich war.
Nachdem mehrere Kandidaten die Wahl aus unterschiedlichen Gründen angefochten hatten, stellte das BAG zentrale Grundsätze zur Briefwahl klar:
1. Eine Übersendung von Briefwahlunterlagen ohne ausdrückliches Verlangen der jeweiligen Mitarbeiter ist dann zulässig, wenn dem Wahlvorstand bekannt ist, dass die Wahlberechtigten zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden – in diesem Fall in den streitgegenständlichen Beispielen von Kurzarbeit (Null) und mobiler Arbeit (Homeoffice). Die Kenntnis des Wahlvorstands über das Vorliegen der in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 WO geregelten Tatbestände ist damit Voraussetzung für eine Übersendung der Unterlagen. Ergibt sich hingegen aus den Nachforschungen des Wahlvorstands, dass Arbeitnehmer im Betrieb anwesend sein werden, etwas weil beispielsweise die mobile Arbeit aufgrund der Art der Tätigkeit ausgeschlossen ist, dürfen diesen Mitarbeiter nicht automatisch Briefwahlunterlagen zugesandt werden.
2. Abwesenden Mitarbeitern ist das Wahlausschreiben direkt postalisch oder elektronisch zu übermitteln; ein bloßer Hinweis oder Link im Intranet genügt nicht. Ziel ist, dass die im Betrieb abwesenden Mitarbeiter frühzeitig von der Betriebsratswahl Kenntnis erlangen und damit die Möglichkeiten haben, sich an dem Verfahren zu beteiligen. In bestimmten Fällen kann das Wahlausschreiben zusammen mit den Briefwahlunterlagen übersandt werden.
3. Der Wahlumschlag muss blickdicht sein. Der Freiumschlag, der dem Versand des Wahlumschlags dient, muss als solcher in erster Linie „nur“ größer als dieser sein und darf weder transparent noch unverschließbar sein. Zugleich muss dieser Freiumschlag jedoch nicht so beschaffen sein, dass jede Art von Manipulation (z.B. mittels Durchleuchten mit einer Taschenlampe) ausgeschlossen ist.
4. Weder die Nutzung einer arbeitgeberseitigen Poststelle bzw. postverarbeitenden Infrastruktur noch die Verwendung eines eigenen Briefkastens des Wahlvorstands wurden vom BAG in seiner Entscheidung beanstandet.
2. Wenn Briefwahlunterlagen angefordert werden: Was muss der Wahlvorstand prüfen – und was nicht?
BAG Beschluss vom 22.01.2025 - 7 ABR 1/24
In einem Eisenbahnverkehrsunternehmen stritten die Beteiligten ebenfalls um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Streitgegenständlich war hier vor allem die Frage, ob der Wahlvorstand das Verlangen nach Briefwahlunterlagen gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 WO bzw. die hierfür erforderlichen Voraussetzungen bei den jeweiligen Mitarbeitern überprüfen muss. Das BAG stellte hierzu klar, dass Wahlberechtigte grundsätzlich nicht verpflichtet sind, eine Begründung für ihr Verlangen auf Briefwahlunterlagen abzugeben. Zum anderen entschied es, dass der Wahlvorstand dann zu einer entsprechenden Überprüfung bzw. Abfrage einer Begründung angehalten ist, wenn sich für ihn objektive Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen aufdrängen.
Auch über den Umgang mit Stimmzetteln war in diesem Verfahren gestritten worden. Das BAG entschied hierzu:
Falsch gefaltete Stimmzettel, bei denen die Stimmabgabe ohne Auseinanderfalten ersichtlich ist (Schriftbild nach außen), verletzen das Wahlgeheimnis und sind ungültig. Der Wahlvorstand darf solche Stimmzettel zu Beginn der Auszählung aussortieren und muss sie nicht erst in die Urne legen. Die in § 14 Abs. 1 S. 2 WO vorgesehene Prüfung der Gültigkeit der Stimmzettel nach der Öffnung der Wahlurne und Entnahme der Stimmzettel verbietet eine solche Vorgehensweise nicht. Ebenso wäre es jedoch zulässig, die Stimmzettel zunächst in die Wahlurne einzuwerfen und erst später deren Ungültigkeit festzustellen, so das BAG.
Fazit
Die Entscheidungen des BAG stärken die rechtssichere Durchführung von Betriebsratswahlen unter modernen Arbeitsbedingungen. Wahlvorstände erhalten klare Leitlinien für den Umgang mit der Briefwahl. Für die Praxis bedeutet dies:
· Die automatische Übersendung von Briefwahlunterlagen ist nur für Gruppen zulässig, deren Abwesenheit dem Wahlvorstand zum Zeitpunkt der Wahl bekannt ist – etwa bei Kurzarbeit oder mobiler Arbeit. Der Wahlvorstand sollte dabei dokumentieren, auf welcher Informationsgrundlage seine Kenntnis beruht.
· Verlangt eine einzelne Person Briefwahlunterlagen, ist hierfür grundsätzlich keine Begründung erforderlich. Nur wenn objektive Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen bestehen, darf der Wahlvorstand eine nähere Begründung anfordern.
· Abwesenden Beschäftigten ist das Wahlausschreiben unmittelbar zu übersenden, beispielsweise per E-Mail oder Post; ein bloßer Hinweis im Intranet genügt nicht.
· Stimmzettel sind so zu falten, dass die Stimmabgabe erst nach dem Auseinanderfalten erkennbar ist. Falsch gefaltete Stimmzettel verletzen das Wahlgeheimnis und sind ungültig; sie dürfen vom Wahlvorstand ausgesondert werden.