Der Sachverhalt
Die Klägerin ist seit 2008 Führungskraft (E3-Ebene) in einem großen Automobilkonzern. Nach Elternzeiten arbeitete sie in den Jahren 2018-2022 durchgehend in 50 % Teilzeit, seit 2023 wieder in Vollzeit. Ihre Vergütung setzt sich aus Fixgehalt, Company Bonus, aktienorientierter Vergütung (PPSP, Phantom Shares) und Kapitalbausteinen (P.C.O.) zusammen. Im Betrieb existiert ein Entgelttransparenz‑Dashboard mit Medianwerten getrennt nach Geschlechtern.
Die Klägerin machte für 2018-2022 Entgelt‑ und Schadensersatzansprüche wegen Entgeltdiskriminierung geltend. Sie berief sich hierzu auf die bereits bestehende jüngere Rechtsprechung eines Verstoßes gegen Art. 157 AEUV, §§ 3, 7 EntgTranspG und § 22 AGG.
Dabei ging sie noch einen Schritt weiter: Sie bestand darauf, im Vergleich zu dem bestverdienenden namentlich benannten männlichen Kollegen benachteiligt zu werden und begehrte die Anhebung ihrer Vergütung auf dessen individuelles und herausragendes Gehaltsniveau.
ArbG und LAG hatten die Klage noch überwiegend abgewiesen. Die Klägerin erhielt lediglich die Differenz zwischen dem Medianentgelt der männlichen und weiblichen Vergleichsgruppe – eine Schlechterstellung gegenüber dem bestverdienenden Mann sei kein Indiz für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung.
Die Entscheidung
Das BAG kippte nun diese Aussage des LAG.
Für die – vom Arbeitgeber zu widerlegende – Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts genügt es, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt, der sog. Paarvergleich. Die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtsgruppen ist für das Eingreifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung. Die Klägerin hat – unter Verweis auf die Angaben im Dashboard – in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen.
Zur Berechnung des konkreten Entgelts verwies das BAG den Fall zurück an das LAG. Das LAG muss nun auch prüfen, ob der Arbeitgeber diese Vermutung – ungeachtet der Intransparenz seines Entgeltsystems – widerlegt hat. Das BAG äußert hierin erhebliche Zweifel und schraubt die Anforderungen für das Unternehmen hoch. Entkräften lässt sich die Vermutung nur durch substantiierte, objektive und geschlechtsneutrale Gründe wie z. B. dokumentierte Anforderungen, Erfahrung, Dienstalter sowie leistungsgerechte Kriterien. Bloße Wertungen („Minderperformance“) genügen nicht.
Praktische Bedeutung für Betriebsräte
Die Entscheidung stärkt Equal‑Pay‑Klagen prozessual und verschiebt die Verteidigungsarbeit zum Arbeitgeber: Der Paarvergleich ist wieder ein scharfes Schwert; Median‑Tabellen sind nützlich, aber kein Schutzschild.
Für Betriebsräte heißt das: Mitbestimmung bei Vergütungssystemen und Kriterienkatalogen (v. a. § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG), Transparenz- und Dokumentationsstandards (Zuteilungslogik bei Boni/PPSP, Bewertungsmatrizen, senioritäts‑ und leistungssachliche Faktoren) sowie Umsetzungs‑ und Kontrollprozesse werden wichtiger. Gefragt sind klare, diskriminierungsfeste Parameter, nachvollziehbare OPC‑/Calibration‑Prozesse und Audit‑Spuren. Praktisch empfiehlt sich die systematische Auswertung der (betrieblichen) Entgelttransparenz‑Daten, jährliche Gender‑Pay‑Gap‑Checks und die Vereinbarung von Korrekturmechanismen.
Das BAG handelt vorausschauend. Denn die hierin normierten Verpflichtungen müssen Unternehmen zukünftig ohnehin einhalten. Bis spätestens Juni 2026 muss die Entgelttransparenzrichtlinie in nationales Recht umgesetzt sein. Dann treffen Unternehmen ohnehin umfangreiche Verpflichtungen, ihre Entgeltsysteme nachvollziehbar und überprüfbar geschlechtsneutral auszugestalten.
Soweit die Verhandlung von Betriebsvereinbarungen zu Entgeltfragen im Raum stehen, sollten diese Verpflichtungen gleich mit berücksichtigt und umgesetzt werden, damit solche Verhandlungen nicht in einem halben Jahr neu aufgemacht werden müssen. Die Ausgestaltung der Entgelttransparenz ist umfassend zustimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
Soweit nicht bereits nachweisbar geschlechtsneutrale Entgeltsysteme im Betrieb bestehen, sollten Arbeitgeber ein Interesse an der Neufassung entsprechender Betriebsvereinbarungen haben, damit Klagewellen mittels des Paarvergleichs rechtzeitig begegnet werden kann. Denn dieses Urteil stärkt die Rechte von Arbeitnehmerinnen ganz erheblich.