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Mangel an Kandidierenden ist kein Wahlkiller

Die fehlende Bereitschaft von Beschäftigten, für den Betriebsrat zu kandidieren, kann rechtlich zur Reduzierung der Betriebsratsgröße nach § 11 BetrVG führen. Dies hat das BAG ausdrücklich bestätigt. Praktisch bleibt es jedoch Aufgabe des derzeit amtierenden Betriebsrats, durch Information und Motivation sicherzustellen, dass betriebliche Mitbestimmung auch tatsächlich gelebt und erhalten werden kann.

BAG, Beschluss vom 24. April 2024 – 7 ABR 26/23

veröffentlicht am 29.10.2025 von

Gründe für fehlende Kandidierende

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG werden in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt. Häufig kommt es jedoch vor, dass sich nicht genügend Kandidierende im Betrieb finden, um den Betriebsrat mit der in § 9 BetrVG vorgesehenen Anzahl von Betriebsratsmitgliedern zu besetzen. Die Gründe hierfür können sowohl rechtlicher als auch praktischer Natur sein.

Ein wesentlicher rechtlicher Grund liegt darin, dass die Zahl der nach § 8 BetrVG wählbaren Arbeitnehmer geringer ist als die Gesamtzahl der Beschäftigten, die nach § 9 BetrVG für die Betriebsratsgröße maßgeblich wäre. Leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG, Auszubildende unter 18 Jahren oder Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb zählen beispielsweise nicht zu den wählbaren Personen. Auch Beschäftigte, welche die nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG geforderte sechsmonatige Betriebszugehörigkeit noch nicht erreicht haben, können nicht kandidieren. In Betrieben mit hoher Fluktuation oder kurzen Befristungen kann dies dazu führen, dass die Anzahl der tatsächlich wählbaren Arbeitnehmer deutlich hinter der Belegschaftsstärke zurückbleibt. Dies ist insbesondere in Betrieben mit weniger als 51 wahlberechtigten Arbeitnehmern relevant, denn § 9 BetrVG differenziert nach dem Wortlaut hinsichtlich der Bemessungsgrundlage des Gremiums zwischen Betrieben mit bis zu 51 „wahlberechtigten Arbeitnehmern“, erst darüber hinaus ist das Kriterium der Wahlberechtigung nicht mehr relevant und es wird auf „Arbeitnehmer“ abgestellt.

Hinzu kommen betriebsorganisatorische Besonderheiten: Ist ein Unternehmen in mehrere Betriebsteile gegliedert und besteht Unklarheit über deren Zuordnung, kann sich – je nach Zuordnung – die Zahl der „in der Regel“ wahlberechtigten Arbeitnehmer für den betreffenden Betrieb erhöhen oder verringern. Der Wahlvorstand hat deshalb zunächst die betriebsratsfähige Einheit (Betrieb/Betriebsteil) festzustellen und auf dieser Grundlage die Zahl der „in der Regel“ wahlberechtigten Arbeitnehmer zu ermitteln, um hiernach die Betriebsratsgröße nach § 9 BetrVG festzulegen. Zweifel über die Betriebszuordnung können – bestenfalls vorab – im Beschlussverfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG geklärt werden.

 

Lösungen zur Behebung des Kandidierendenmangels

Fehlt es nicht an wahlberechtigten, sondern an ausreichend wählbaren Arbeitnehmern, so ist nach § 11 BetrVG die Betriebsratsgröße auf die nächstniedrigere Stufe gemäß der Gremienmitglieder nach § 9 BetrVG zu reduzieren, und zwar so lange, bis die Sitze besetzbar sind. Mindestens drei wählbare Arbeitnehmer müssen vorhanden sein; andernfalls ist der Betrieb (noch) nicht betriebsratsfähig. Diese Vorschrift dient der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats und verhindert, dass eine Wahl allein an einer zahlenmäßigen Unterdeckung scheitert.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BAG. Dieses hat klargestellt, dass die in § 11 BetrVG vorgesehene Herabsetzung der Betriebsratsgröße auch dann Anwendung findet, wenn sich zwar theoretisch genügend wählbare Arbeitnehmer im Betrieb befinden, aber nicht genügend Kandidierende tatsächlich bereit sind, sich für den Betriebsrat aufstellen zu lassen. Das BAG stellte damit ausdrücklich fest, dass die fehlende Bereitschaft zur Kandidatur einem objektiven Mangel an wählbaren Personen gleichzustellen ist. Der Wahlvorstand darf daher die Betriebsratsgröße auf die nächstniedrigere Stufe festsetzen, wenn andernfalls die Wahl nicht zustande käme. Das BAG betont, dass der Zweck des § 11 BetrVG darin liegt, die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Mitbestimmung zu sichern und Betriebsratswahlen nicht an einem Kandidierendenmangel scheitern zu lassen (BAG Beschl. v. 24.04.2024 – 7 ABR 26/23, Rn. 43).

Daneben spielen auch psychologische Gründe und ein Informationsmangel in der Belegschaft eine erhebliche Rolle. Viele Beschäftigte scheuen eine Kandidatur, weil sie zusätzliche Arbeitsbelastung befürchten oder annehmen, ihre Betriebsratstätigkeit könne sich negativ auf ihr Verhältnis zu Vorgesetzten auswirken. Insbesondere in kleineren Betrieben ohne freigestellte Betriebsratsmitglieder nach § 38 BetrVG besteht oft die Vorstellung, dass die Betriebsratsarbeit „nebenbei“ erledigt werden müsse oder finanzielle Einbußen hinzunehmen sein werden. Darüber hinaus fehlen häufig Kenntnisse über Rechte, Freistellungsmöglichkeiten und den tatsächlichen Umfang der Betriebsratsarbeit. Auch über Schulungsansprüche nach § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG sind potenzielle Kandidierende oftmals nicht hinreichend informiert. Viele dieser Sorgen bestehen, obwohl § 37 BetrVG neben der Arbeitsbefreiung sowohl das Lohnausfallprinzip als auch die wirtschaftliche und berufliche Absicherung der Betriebsratsmitglieder regelt und darüber hinaus § 78 S. 2 BetrVG und § 15 KSchG einen ausdrücklichen Schutz vor Benachteiligungen und Kündigungen gewährleisten.

Der Wahlvorstand steht dann vor dem Problem, dass keine oder zu wenige gültige Wahlvorschläge eingereicht werden oder dass Kandidierende ihre Wahl nachträglich nicht annehmen. In solchen Fällen muss die Betriebsratsgröße gemäß § 11 BetrVG auf die jeweils nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG abgesenkt werden, wobei stets eine ungerade Anzahl einzuhalten ist. Das BAG hat mit seiner o.g. Entscheidung diese Rechtslage ausdrücklich bestätigt. Danach kann der Wahlvorstand schon vor der Wahl von einer reduzierten Größe ausgehen, wenn sich nach dem Wahlausschreiben abzeichnet, dass nicht genügend Kandidierende für die Errichtung des Gremiums zur Verfügung stehen. Eine Nachwahl nach § 9 WO ist selbst dann nicht erforderlich, wenn bei einer an § 9 BetrVG orientierten Betrachtung die Personenanzahl auf der Vorschlagsliste zu gering ist. Eine Wahlverhinderung liegt in einer reduzierten Kandidierendenliste nicht vor, es kann gewählt werden.

Mit einer frühzeitigen Ansprache potenzieller Kandidierender, spannenden Infoveranstaltungen zu Rechten und Schutzmöglichkeiten sowie klarer Kommunikation lässt sich viel bewegen: So finden sich engagierte Beschäftigte, die Lust haben, im Betriebsrat mitzuwirken.

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