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Unwirksamkeit von Catch-all-Klauseln

Eine arbeitsvertragliche Klausel, die Arbeitnehmer über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus unbegrenzt zur Verschwiegenheit über sämtliche interne Vorgänge verpflichtet (sog. Catch-all-Klausel), ist wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam; nachvertragliche Geheimhaltungspflichten dürfen sich nur auf konkret bestimmte Geschäftsgeheimnisse beziehen.

BAG, Urteil vom 17.10.2024 – 8 AZR 172/23

veröffentlicht am 29.10.2025 von

Der Sachverhalt

Die Klägerin, ein führender Hersteller von Füllmaschinen und Verpackungsmaterial, beschäftigte den Beklagten von 1988 bis 2016, zuletzt als Central Technology Manager. Der Arbeitsvertrag enthielt eine umfassende Geheimhaltungsklausel, die den Beklagten zur Verschwiegenheit über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie sonstige interne Vorgänge verpflichtete – auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde bekannt, dass der Arbeitnehmer seit 2015 unter Pseudonymen E-Mails mit technischen Daten an Gesellschafter eines potenziellen Wettbewerbers gesendet hatte.

Die Klägerin beantragte daraufhin gerichtlich, „dem Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, die ihm im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses anvertraut oder zugänglich gemacht worden sind, unbefugt an Dritte mitzuteilen oder weiterzugeben und zwar in Form der Weitergabe von spezifischen Leistungsdaten der Packstoffproduktionsanlagen (z.B. AFK-Maschinen) […].“

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab; die Arbeitgeberin verfolgte ihr Begehren in der Revision erfolglos weiter.

 

Die Entscheidung

Das BAG hält den Unterlassungsantrag trotz Generalisierung für hinreichend bestimmt, weil durch technische Begriffe und die Bezugnahme auf bekannte E‑Mails klar ist, welche Informationen erfasst sind. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes sind gewisse Ausfüllungsbedarfe im Vollstreckungsverfahren hinzunehmen.

Das BAG prüfte zunächst, ob die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs nach § 6 GeschGehG vorliegen. Dieser scheiterte, weil die Klägerin keine „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG nachweisen konnte.

Auch auf die Catch-all-Klausel konnte sich die Arbeitgeberin nicht berufen. Diese Klausel hält das BAG allgemein für unzulässig. Eine derart umfassende und zeitlich unbegrenzte Verschwiegenheitspflicht benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 BGB), da sie faktisch einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot gleichkommt, ohne die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen (insbesondere Karenzentschädigung) zu erfüllen. Ohne wirksames Wettbewerbsverbot darf der ehemalige Arbeitnehmer sein Erfahrungs‑ und Gedächtniswissen grundsätzlich verwerten. Nachvertragliche Verschwiegenheitspflichten sind nur zulässig, wenn sie sich auf konkret bestimmte Geschäftsgeheimnisse beziehen und das Interesse des Arbeitnehmers an der Verwertung seines Erfahrungswissens angemessen berücksichtigen. Eine allgemeine, alle internen Vorgänge umfassende Stillschweigensverpflichtung ist unzulässig.

 

Praktische Bedeutung für Betriebsräte

Das Urteil verschiebt die Gewichte spürbar: Arbeitgeber müssen – beweis‑ und darlegungsfest – ein kohärentes Geheimschutz‑System etablieren, damit Informationen überhaupt den Status „Geschäftsgeheimnis“ erlangen.

Für Betriebsräte öffnet dies gleich mehrere Mitbestimmungstore: Bei Regelungen zur Ordnung des Betriebs und zum Verhalten der Arbeitnehmer nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, etwa bei Geheimhaltungs‑ und Compliance‑Policies, bei Einsatz, Ausgestaltung und Kontrolle technischer Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) für Zugriffsbeschränkungen, Rechtekonzepte, Protokollierung und DLP‑Tools; sowie bei Schulungskonzepten und Awareness‑Maßnahmen. Betriebsräte sollten zudem auf klare Kategorisierungen (Know‑how‑Klassen), rollenbasierte Zugriffe, Lösch‑ und Freigabeprozesse und dokumentierte Angemessenheit der Maßnahmen dringen.

Nur wenn hier mitbestimmte Systeme etabliert werden, hat die Arbeitgeberin zukünftig eine Chance, einen nachvertraglichen Schutz ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu erzielen. Daran sollten alle Arbeitgeber größtes Interesse haben.

Zusätzlich können und sollten Betriebsräte bereits nach § 80 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG prüfen lassen, ob die im Betrieb verwandten Arbeitsverträge den neuen strengen Anforderungen des BAG genügen, damit Arbeitnehmer in ihrer beruflichen Entwicklung nicht ungebührlich benachteiligt werden. Möchte der Arbeitgeber zukünftig ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren, so bleibt ihm als einzig rechtssicherer Weg ausschließlich die Möglichkeit, eine Karenzentschädigung zu vereinbaren. Auch dies stärkt die Rechte der Arbeitnehmer.